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Kamm

 

Alles über einen Kamm zu scheren, oder eben, vom Detail grundsätzlich abzusehen
und das scheinbar Allgemeine eines Falles oder Zusammenhanges herauszustreichen, sich schliesslich damit den gedanklichen, praktischen und sozialen Umgang mit der Wirklichkeit so zu erleichtern, hat grosse Vorteile.

Man bringt Ordnung in ein Gewirr von Wahrnehmungen und meint dann, logisch-sequentiell zu verstehen, was der Fall im Einzelfall sei - eine Reduktion eines vielschichtigen Bildes auf eine erkennbare Gestalt, die für das bewusste Denken und Handeln notwendig ist und vermutlich für alle entwickelteren Tiere wie auch für das menschliche Tier immer überlebenswichtig war. Also eine wesentliche Bedingung des Erkennens, zugleich eine der Bedingungen für die Existenz einer speziellen Form von Dummheit:

die einfache Gestalt gibt die groben Züge des jeweils Wahrgenommenen wieder und übersieht die Schattierung, Farbwechsel und Feinheiten. Das solchermassen erlangte Verständnis schafft Eindeutigkeit und erleichert das Hantieren der Wirklichkeit ungemein (1).

Die Dummheit besteht nun eigentlich darin, das gewonnene Verständnis nicht immer wieder am Wirklichen zu messen und es damit zu erweitern oder zu falsifizieren. Es fehlt leider häufig die Einsicht in die Fehlbarkeit und Endlichkeit des eigenen Verstandes, und das auch bei ganz und gar nicht intelligenzgeminderten Menschen. Selbst die Spur eines Zweifels kann schon schockähnliche Verwirrung und umso wütenderes Festbeissen in die (vor-)gefasste Meinung auslösen.

Identität, Selbstbewusstheit oder Ich-Bewusstsein scheint sich am Wahrnehmen des Anderen als anders überhaupt erst bilden zu können. Das Ähnliche oder Identische im Anderen wahrzunehmen fällt uns leicht, wenn wir dabei in unseren Grundannahmen über uns selbst und das Leben bestätigt werden. Wenn der Andere aber radikal anders ist und/oder unsere Weltsicht nicht teilt, empfinden wir Verunsicherung, meistens gekleidet in Befremden, Ablehnung, Abscheu oder Hass.
Wenn nun eine Konstitution der Persönlichkeit besteht, die von Ängsten gekennzeichnet ist und in der das Ich auf Bestätigung wesentlich angewiesen ist um nicht in Auflösung überzugehen, wird dieses Ich häufig eine duale Aufteilung der Welt bevorzugen, in der es keine Zwischentöne und Schattierungen gibt, sondern nur Schwarz und Weiss, Gut und Böse - also sozusagen klar definierte Gestalt-vor-Hintergrund-Bilder und keine Kippbilder mit wechselnder Gestalt.



Die tiefere Motivation dafür scheint mir also in der Angst vor Auflösung der vermeintlichen Sicherheiten - und, noch etwas darunter, der Angst vor dem Erkennen der eigenen Sterblichkeit zu liegen.

Ich meine wie einige Andere, das hier auch der tiefere Grund für Krieg und Faschismus liegen könnte (2). Töten und/oder Herrschen wären dann illusionäre Heilmittel, mit denen Täter und Tätergruppen und ihre Klientel ihre Sterblichkeit und deren Evidenz, und damit für sie unerträgliche Ohnmachts- und Schwächegefühle illusionär überwinden. Der oder die Andere(n) als Opfer dienen dann als handgreiflicher Beweis, dass das "Ich" oder das "Wir" stark, mächtig und damit scheinbar unsterblich ist. (Aus dieser Konstellation rührt vermutlich auch der Versuch Friedrich Nietzsches, einen Übermenschen mit einer Herrenmoral zu konstruieren, selbst wenn ihm die zugrundeliegende psychologische Dialektik bewusst gewesen sein mag.)

Dass in der nüchternen Erkenntnis des eigenen Ableben-Müssens und dem Wahrnehmen der notwendigen Borniertheit allen Erkennens aber eine befreiende Kraft wirkt, sieht man erst, wenn man sich darauf einlässt, die unangenehmen Tatsachen des Lebens anzunehmen und das Illusionäre Starksein und Zu-den-Gewinnern-Gehören zu Grabe zu tragen. Das schliesst das Trauern über den Verlust des idealisierten Selbst ein und ist kein Sonntagsspaziergang. Ich wünschte, dass mehr Menschen sich darauf einlassen könnten. Dann wäre auch eine Solidarisierung zwischen Menschen jenseits von Gruppenzugehörigkeiten möglich, die auf Empathie beruhte, und nicht nur die interne Solidarisierung Gleichgesinnter, die auf der Dämonisierung der jeweils aktuellen Sündenböcke basiert.

Post Scriptum:

(1) Der Philosoph, Literaturwissenschaftler und Neuropsychiater Ian McGilchrist hat in "The Master and his Emissary" und "The Matter with Things" die hirnphysiologischen Grundlagen dieser Spaltung und deren psychologische und philosophische sowie epistomologische Konsequenzen herausgearbeitet. Einen Überblick gab er selbst 2023 in diesem Vortrag:

https://odysee.com/@organdonor:7/McGilchrist_The-Matter-with-Things:5

(2) Der Psychoanalytiker und Psychiater Stefan R. Winter hat seit 2022 plausibel dargestellt, dass man * den wirklichen tieferen Grund in der Natalität ("Geburtlichkeit") - mit ihrem Trauma der Inkarnation ("Einfleischung/Fleischwerdung") - und zusammengesehen mit den demografischen Verhältnissen suchen muss. Das Fehlen von förderlichen wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Bedingungen hat den geborenen Individuen durch alle Epochen hindurch eine gesunde Entwicklung verweigert. -- Mit seiner Hypothese/Theorie legt Winter dar, m. E. schlüssig und sehr überzeugend, dass dieses Zusammenwirken immer wieder in Gewalt, Krieg und Elend führte und führt. Näheres hier:

https://stefanrwinter.substack.com/p/psychoanalytische-implikationen-politischer-b88

 
                       
   
architektur
   
    übersetzung xxxxx klänge  
   

Benjamin nachdenken: Mode und Zeit

Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen.Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. - W.B.

 

 

 

 


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Marine (blau), Armee (grün), Wüstenoutfit (beige), Tarnmuster, die Klassiker der Kriegsbemalung - seit neuerem auch ein leicht degôutant anmutender Braunton, gerne kombiniert mit hellem Orange...oder mehr und mehr gänzlich schwarze Kampfmode mit Barett...

Nicht erst Im Zuge der seit Mitte des 20sten etablierten Popkultur werden ganz offen Allusionen und Anleihen bei der Kriegsgarderobe gemacht. Merkwürdigerweise oft gerade immer dann, wenn der nächste Feldzug ansteht.

Ein Unterstrom aus geheimen und weniger geheimen, weil offensichtlichen Flaggensignalen rauscht an uns vorrüber-; - oder gar durch uns hindurch - und stimmt uns schon einmal auf das Kommende ein...nicht umsonst sagt man vom Modischen auch, es sei Angesagt.

Die Flaggensignale, die unterschwelligen, zu lesen verstehen zu lernen, versucht das mitteleuropäische Bildungssystem seit den Siebzigern seine Schüler und Studenten zu lehren...mit mäßigem Erfolg. Das mehr oder minder unbewußte Mitgehen scheint einfach unwiderstehlich und gehorcht anscheinend weit wirkungsvolleren Motiven als die Verstandestätigkeit.

Benjamin erlebte die totale mediale Durchdringung des Konsumentenvolks mit visuell-narrativer Ware nicht mehr; Tonfilm, Radio und Fotografie der zwanziger und dreißiger Jahre haben zwar schon alles vorexerziert was nun auch noch in interaktiven und dreidimensionalen Formaten daherkommt, doch die schieren Quantitäten der 0-er und 10er Jahre des 21sten, die rettungslose Überflutung mehr oder weniger völlig unvorbereiteter und nichtsahnender Unterhaltungssuchender mit "purer Unterhaltung", dieser stete und gigantische Strom medialen Unrats, dessen Einverleibung die Unterhaltenen zu genießen meinen - hat eine neue Qualität.

Auf dem Wege der Gewöhnung und unterschwelligen Zurichtung wird das Publikum von morgen ausgebrütet und geformt.

 
   
   
   

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Andrea Lehmanns Greeneland

 

Andrea Lehman hat eine neue wundergespickte malerische Raumskulptur erdacht, gemalt und gebaut. Auftritt: die Euphonia, ein Instrument zur Erzeugung von menschlichen Stimmlauten, Vorläufer der Erfindung des Telefons, die Alex. Graham Bell dann für sich beanspruchen und patentieren sollte, motiviert durch Gier und ein ererbtes philantropisches Interesse an Taubstummen und ihrer eugenischen Verhinderung für alle Zeiten.

Wir betreten Greeneland, eine besondere Parallelwelt, in deren Details und weitem historischem Hintergrund die Technologien des späten 19. Jahrhunderts und die Sorgen und Permutationen des späten britischen Empires der ersten Hälfte des letzten, 20sten als Licht-Mahre und Albdrücke hindurchscheinen.
Hintergründiger, schwarzer; intelligent verspielter Humor blitzt auf, so als würden mit prätechnologischen Gadgets versehene Goldfische, oder waren es Katzenhaie? – in der Kristallkugel eines eleganten siebenbürgischen Hellsehers Geheimdienstmantras aufsagen. Dann tauchen wir ein in ein Spiegelspiel, daß Lehmann mit sich selbst, uns, den Betrachtern, aber vor allem mit den malerischen Mitteln, dem skulpturalen Umraum und nicht zuletzt mit dem kunst- und zeitgeschichtlichen Fundus in ausgebuffter Sophistikation in Gang setzt. Was Frau Lehmann (*1968) dazu bewog, die beiden Grahams, Greene und Bell, Tauben und Taube, als phantastische Protozoen in ihr eigenes, ganz spezielles Goldfischglas auszusetzen, erahnen wir wohl, vielleicht aber auch nur vage-virtual.

Wo liegt Greeneland?

Greeneland ist nicht nur ein dunkles, grünlich schimmerndes Gröhnland, sondern auch Graham Greene’s Land, durchzogen von den Erfindungen und finsteren Plänen eines Alexander Graham Bell, dem eugenischen Propagator und Hersteller des ersten marktreifen Telefons, ein Urahn der Telekommunikation. Ein dunkles Territorium im Nirgendwo der Imagination als auch der Gelehrtenrepublik, liegt Greeneland nahe bei Le-Carrè-Land und Joseph Conrad Country. In Frau Lehmanns Welt liegt es allerdings noch weiter oben, in einem hellsichtigen Jenseits der Vernunft. Im Kern ihres Werk sehen wir eine überbordende, doch disziplinierte Imagination und wahren Witz mit malerischer Brillanz gekoppelt am Werk. Ohne die Tuchfühlung mit der Physis und ihrer Schönheit aus den Augen und Händen zu geben oder die Füße vom Boden der Tatsachen zu nehmen, zeigt uns Frau Lehmann die Pfade durch ihr zugleich vertracktes und weitherziges Universum - durch dessen Treppenhaus, neben Bosheit markierenden Stimmen, ein verwehtes Gelächter zieht, dem geneigte Ohren beim Lesen von Cervantes' und Swifts Werken begegneten.

Background Thoughts in the Back Room

Graham Greene (*1904) soll sich in seiner Jugend mit Russischem Roulette vergnügt haben und die Psychiatrie von innen kennengelernt haben; kurz, ein vielleicht etwas verwilderter Lehrersohn. Mit 22 konvertierte er zum Katholizismus und heiratete eine Katholikin. Ausgebildet in Oxford, arbeitete Greene als Journalist und begann ab 1923, seine Erzählungen und Romane zu veröffentlichen. Im 2. Weltkrieg und bis Anfang der 60er arbeitete er für den britischen Geheimdienst MI6. Mit seinem Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ schaffte es Greene in den Index, den vatikanischen Giftschrank verbotener Bücher, wenn auch Pabst Montini ihm beruhigend beschied: "Mr. Greene, some aspects of your books are certain to offend some Catholics, but you should pay no attention to that." Viele, fast würde man meinen alle, seiner Bücher wurden Bestseller und dienten als Vorlagen für einige Meisterwerke des Kinos. „Der dritte Mann“ mit Orson Welles hat, als Film wie als Begriff über die Jahrzehnte quasi mythischen Status angenommen. Reisen, Schreiben und Gin Tonic waren seine Lebenselixiere. Die unverwechselbare Melange aus Melancholie, verquerem bis philosophischem, ethisch-religiösem Denken und Fühlen, eine quasipathologische Schuldbesessenheit - nicht nur katholischer Machart – ebenso wie die Verstrickung in tatsächliche Schuld und echten Verrat – dazu die genaue und dichte atmosphärische Schilderung der Protagonisten; von Diplomaten, Agenten, Gangstern, Geistlichen und den zugehörigen Frauen – zum anderen ihrer Umgebung: der Kolonialwelt des britischen Raj in der unaufhaltsam beginnenden Auflösung; und des alten Europas - politische Komplikationen im kolonialen Milieu der Sechziger Jahre und das Ende des Empires, nebst Übergabe an die Kolonialländer beziehungsweise den noch jungen Weltmachtaspiranten USA - all das macht Greenes Bücher, neben denen Le Carrés und anderer, zu einer literarischen, fast „authentischen“ Quelle zur Lage des „Western Mind“ im 20. Jahrhundert und zugleich zu einem süchtig-machenden Lesevergnügen.

Una Sancta Ecclesia

Das Konvertieren zum katholischen Christentum war eine intellektuelle Mode nach dem Ende des 1. Weltkriegs aus diversen Motiven: während die Dadabären in Zürich sehr zivil tobten, Tristan Tzara in der kommunistisch-surrealistischen "Bewegung" als Propagandist und Organisator sich gerierte und München zur anarchistischen Stadtrepublik mutierte, war der Eintritt in die Heilig-Römische eine der möglichen „konservativen“, anti-modernen Reaktionen auf das definitive Ende aller Gewißheiten.

Die Reihe der Schriftsteller, die entweder konvertierten oder in den Schoß der Kirche zurückkehrten, ist lang. J.K. Huysmans, G. K. Chesterton, Julien Green, Evelyn Waugh, François Mauriac, Edith Sitwell, Anthony Burgess (A Clockwork Orange), Marshall McLuhan und nicht zuletzt Anne Rice (Interview with a Vampire) – sind Teil einer rückwärtsgewandten Avantgarde eines modernen Credo Quia Absurdum Est - und in diesem Sinne ebenso Zivilisationsflüchtlinge wie der arme Rimbaud. Sicherlich spielte Faszination durch die Irrationalität und Pracht der Una Sancta eine Rolle, deutlicher aber sieht man hier - den verzweifelten Griff Schiffbrüchiger nach einem intellektuellen Rettungsfloß, verbunden mit der beruhigenden Sicherheit einer Tradition; und nicht zuletzt auch: dem Geschenk einer guten Camouflage.

Greenelands Maulwürfe

Kim Philby (*1912) war ein enger Freund Graham Greenes, der das MI6 verließ, bevor ersterer als Doppelagent aufflog. Daß Greene das MI6 niemals verlassen hat und seinen alten Freund Philby als britischen Tripelagenten im KGB betreute, ist kaum verifizierbar und Gegenstand diverser Forschungsprojekte - Philbys Vater jedenfalls, St. John Philby, Abenteurer, Arabist und Machinator - war an der Inthronisation der Familie Saud als Herrscherhaus im ölreichen Wüstensand im Dienste der damaligen Öl-Companies beteiligt, deren Erben uns heute noch beschäftigen.Wir befinden uns hier also in der Parallelwelt der Geostrategischen Politik, diesmal derjenigen des sich auflösenden Raj Queen Victorias, in der, wie in allen Halbwelten, nichts so ist, wie es scheint.

Später sorgten St. Johns Sohn Kim Philby und sein Freund Maclean als MI6-Mitarbeiter jahrelang dafür, daß westliche Atomwaffenforschung oder etwa Umsturzpläne in Albanien die Moskauer Kanäle erreichten - wobei stets die Frage bleibt, ob MI6 diese Information nicht eher aus taktischen Erwägungen durch sie liefern ließ. Im Januar 1963 tauchte Philby unter, floh in die UdSSR, beantragte politisches Asyl und verstarb 1988 als hochdekorierter KGB-Mitarbeiter und Held der Sowjetunion.

Welcome to Bell Telephone Country: Be Careful With That Phone, Eugene...

Graham Bell, (*1847), ist scheinbar und chronologisch gesehen aus einem ganz anderen Topf mit Fischen. Taubstumme, Sprecherziehung, Gebärdensprache und ein philantropisches Interesse an den akustisch-sprachlich Depravierten sowie an deren eugenisch begründeter Ausrottung, die dann, nicht nur im braunen Deutschland, sondern international, für alle Andersartigen in Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriftsform gegossen wurde und per Zwangsterilisierung oder Mord ins Werk gesetzt wurden, sind der Hintergrund für Graham Bells "Erfindung" des Telefons. Phillip Reis leistete die Vorarbeiten, Antonio Meucci und Elisha Gray waren ebenso erfinderische Vorläufer und wurden von Bell kaltblütig als Zuarbeiter ausgenutzt und als Konkurrenten mafiös ausgeschaltet. Bell Telephone wurde ein wirtschaftlicher Riese und Vorläufer heutiger Companies wie Bell Tech Labs und A, T & T.

Greeneland im Kino. Kongeniale Regisseure inszenieren Greene:

Ministerium der Angst - Fritz Lang
Die Kraft und die Herrlichkeit - John Ford
Kleines Herz in Not - Carol Reed
Das Ende einer Affäre - Edward Dmytryk
Die heilige Johanna - Greene/G. B. Shaw - Otto Preminger
Vier Pfeifen Opium/ Der stille Amerikaner - Joseph L. Mankiewicz
Unser Mann in Havanna - Carol Reed
Reisen mit meiner Tante - George Cukor
The Human Factor - Otto Preminger
Das Ende einer Affäre - Neil Jordan

Welcome to Greeneland

Andrea Lehmann has dreamed up, painted and built a new pictorial installation loaded with miracles. Enter: the Euphonia, an instrument reproducing the sounds of the human voice - an invention preceding the telephone - which Alexander Graham Bell then was to claim and patent, driven by greed and an inherited philantropic interest in the deaf and dumb as well as in exterminating deafness forever by eugenic measures.

We are entering Greeneland, a peculiar parallel world, where nightmares, lightmares with streaks of late 19th century technologies are interwoven with the sorrows and permutations of the declining British Empire some decades later. Flashes of subtle, playful black humour light up and our imagination drifts to places where one could imagine exquisite goldfish - or catsharks? – fitted with pretechnological gadgets, chanting secret service mantras in the crystal bowl of an elegant transsylvanian psychic.

Then we immerse ourselves into a multi-mirrored spiel which Lehmann puts into motion with savvy sophistication - involving herself, the viewers, the pictorial means, sculptural space and, not least, the reservoir of modern history and art history. Intuitively, we seem to know what made Miss Lehmann put the two Grahams - Greene and Bell; the Doves and the Deaf, as phantastic protozoa into her very own, very special goldfish bowl. Well, do we, really?


Anna, Magd

Anna lebte uns gegenüber bei einem Bauern und bestellte dort den Gemüsegarten hinter der großen Scheune, die dort heute noch steht. Aus unserem Küchenfenster und auf dem Schulweg sah ich sie täglich.

Klein gewachsen, trug sie Rock, Wams, Kopftuch und war fast zahnlos. Anfang der 70er Jahre muss sie schon sehr alt gewesen sein, vielleicht 85, und man sah ihr die jahrzehntelange Arbeit auf Hof und Feld an. Sie war bei den ordentlichen Dorfleuten schlecht angesehen, galt als einfältig, wenn nicht gar verrückt. Zum Pinkeln ging sie nicht ins Haus, sondern erledigte das kurz auf dem Feld oder im Gemüsegarten hockend, um dann weiterzuarbeiten – auch das half ihrem Ruf im Dorf wenig.

Eines Tages schellte sie bei uns und ich begrüßte sie. Mit der einen Hand hielt sie einen Bleistiftstummel hoch und fragte mit hoher Stimme im rheinischen Platt, ob ich diesen Bleistift habe. Mit meinen elf Jahren war ich zu überrascht und dumm, um auf ihre scheinbar absurde Frage freundlich zu antworten. Nein, diesen Bleistift habe ich nicht, sagte ich, worauf sie sich nach einer Weile wieder verabschiedete. Ich hätte ihr einen Bleistift schenken können. Ich weiß nicht, wo ihr Grab ist, ich würde dort gern Bleistift und Anspitzer hinlegen.

 

Euphonia

Auf dem Nachhauseweg in der Straßenbahn saß ein jüngerer Mann einem angegrauten gegenüber, der einen Gitarrenkasten dabei hatte. Wie er ihn auf das Instrument ansprach, erzählte dieser, dass er mit einer Combo samstags in einer Bar spiele und sie sich regelmäßig zum Proben träfen. Er halte seine Mitspieler immer dazu an, sich Zeit zum Stimmen zu nehmen, sie seien darin öfters nachlässig. Es sei für ihn kaum auszuhalten, wenn sie ihre Instrumente nicht sorgfältig gestimmt hätten. Die schrägen Töne, auch nur einen Hauch neben der gemeinten Note, schmerzten ihn in den Ohren. Aber wenn alles zusammenstimme und die Musik die Spieler begeistere, gebe es nichts Schöneres.

Der Jüngere meinte, er habe auch einmal Musik gemacht, auf dem Klavier, aber sein Lehrer sei ein übler Kerl gewesen und er habe es drangegeben. Manchmal singe er so für sich hin und freue sich daran. Er habe sogar daran gedacht, mit dem alten Flügelhorn seines Vaters anzufangen. Vor zwei Wochen aber habe ihn seine Freundin verlassen, wortlos und ohne erkennbaren Grund. Darüber sei er sehr traurig und schleppe sich nur mühsam durch den Alltag.

Das ist eine Stimmung, sagte der Musiker, und beide schwiegen.

 

Otium Vacare

for Aaron 2009

Perhaps the statement of an art that really works at the height of time, 2010, is something like this: nobody knows where it is. in places told to friends and only for a short time. it takes place, but the place is as fleeting as the artist who no longer wants to impersonate an artist. in an act of inversion, like turning a shirt sleeve inside out, the artist's role as diva will only be invisible, and the public will be limited to people he trusts. he will avoid fame, especially posthumous fame. no one knows where, when, by whom, for whom, at what price - anymore. secret art for a non-public. neg-neg-otio.

Another important thing may be the total loss and casual disregard of the concepts, plans and models presented to us of what should be considered IMPORTANT.
We have spoken of the total absence and destruction of EXPERIENCE, i.e. sensual experience of any natural and prolonged kind, 'normal' experience now being limited to a medially concocted brew of second, third and fourth hand 'experience', ready to be swallowed without the use of tongue, teeth and mind.
Sapienza, wisdom, is about knowledge, sapore, saveur, taste, in the sense of sensually tasting reality. If you can't feel the taste, you can't taste the feel of IT.
So i feel responsible for making experience possible. we can't live on surrogates. we need real touch, taste, mind, grip.

 

"\\\absoluement moderne\\\"

Muss Kunst eigentlich immer innovativ sein?
Ist sie dann erst gut? Oder ist Innovation die Droge eines neusüchtigen Publikums, das alles goutiert, so lange es nur neu erscheint? Muss man wirklich immer "absoluement moderne" sein, oder wird es nicht langsam wichtiger, unmodisch sich zu verhalten? Nämlich: gegen den Verschleiß der Wahrnehmungsweisen anzuleben? In einer durchvisualisierten Welt koennte es zum Beispiel interessant sein, visuelle Abstinenz zu üben. Kein Negotium sondern Otium...die Freiheit,

NICHTS

zu sehen, der visuellen Muße zu pflegen.
Switch Off Something...S.O.S. --- 2009

(Il faut être absoluement demodé...)

 

Paul Virilio

(Interview mit F. Rötzer, arch+ 1986)

„...Man hält mich im allgemeinen schon für einen kritischen Denker, und alle meine Bücher, auch L'espace critique. sind kritisch. Es stimmt aber, dass ich keine Lösung anzubieten habe, und ich würde sogar sagen, dass ich mir das zugute halte. Denn wir haben das Zeitalter der Meisterdenker (wie Glucksmann sagt) hinter uns gelassen und den illusionären Charakter des totalisierenden Denkens durchschaut.
Die 'schöne Totalität', wie Hegel sie nannte, gibt es nicht mehr - es sei denn in Gott, und es war illusionär unwissenschaftlich zu glauben, man könne zu so einer Totalität gelangen, wir haben keine Lösung, weil es gar keine globalen Lösungen gibt, nur episodische, fragmentarische, momentane Lösungen, und an diesen arbeiten wir. Nichts ist jemals ganzheitlich gewesen: diese Vorstellung ist das erste, was man vergessen muß. Sie war eine schreckliche Illusion in der Geschichte des philosophischen und wissenschaftlichen Denkens. Das 'Ganze' - das ist der große Bluff der Philosophiegeschichte.


...das Heil, um das es mir geht, ist nicht das Heil der Christen, das heißt das ausserweltliche Heil in der Ewigkeit. Ich glaube nicht an den Tod, und deshalb habe ich auch keine Angst (Angst im philosophischen Sinne) vor dem Unfall, auch wenn ich mich wie jeder Mensch davor fürchte, ausgelöscht zu werden.
Wenn es eine Rettung gibt, dann liegt sie in der Demut des philosophischen, des wissenschaftlichen, aber auch des politischen Denkens. Wir brauchen heute eine praktikable Demut, nicht die harmlose und fromme Demut, sondern eine radikale wissenschaftliche auch des politischen Denkens. Wir brauchen heute eine praktikable Demut, nicht die harmlose und gottgefällige Demut der Heiligen, sondern eine radikale wissenschaftliche und philosophische Demut.

Wir sind nichts.

Die Totalität wird uns immer unerreichbar bleiben. Ein Philosoph, ein Wissenschaftler, der sich zur Demut bekennt, trägt zur Rettung der Menschheit bei.
Aber diese Demut hat es immer eher bei Dichtern gegeben - ich denke an Hölderlin, an Nerval -, oft auch bei Schriftstellern - bei Kafka, bei Proust - und nur sehr selten bei Wissenschaftlern und Philosophen. Ich denke, die Zukunft der Menschheit liegt in der Demut.“